Vieles im Leben läuft schief. Oft schämen wir uns dafür oder sind selbstkritisch. Neuropsychologen zeigen, dass das Einüben von Mitgefühl für uns selbst und für andere äusserst heilsam ist. Bereits ein Augenblick, an dem wir mitfühlend und liebevoll mit uns selbst umgehen, kann den ganzen Tag verändern. Selbstliebe ist ein weiteres Puzzleteil auf dem Wege zu mehr Gelassenheit im Leben.
Achtsamkeit wird zuweilen als liebevolle Aufmerksamkeit beschrieben. Denn bei der Praxis der Achtsamkeit geht es vor allem auch darum, sich selbst Liebe und Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Mitgefühl für uns selbst ist die wichtigste Ressource, um unseren schärfsten Kritiker – uns selbst! – einzudämmen oder ganz zum Schweigen zu bringen. Leider laufen wir sonst leicht in Gefahr, uns in selbstkritischen Gedanken, in Gefühlen von Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit zu verfangen.
Selbstmitgefühl bedeutet einfach, dass wir uns selbst dieselbe Freundlichkeit entgegenbringen, mit der wir uns um andere kümmern würden. Es ist eine Form der totalen Akzeptanz. Wir akzeptieren nicht einfach nur unsere Gedanken und Gefühle, sondern wir akzeptieren die ganze Person, die dies erlebt.
Den inneren Kritiker lieben lernen
Wie geht das nun vor sich mit den selbstkritischen Gedanken? Ein Beispiel: Vielleicht haben Sie bereits mit Achtsamkeit begonnen. Sie stellen dann sicher fest, wie sich rasch selbstkritische Gedanken einschleichen, die hartnäckig um Aufmerksamkeit heischen. Die Stimme im Kopf meldet sich in etwa so: „Du bist nicht gut genug. Du musst noch mehr üben. Andere sind sicher besser. Warum schaffe ich das nicht?“ Oder wir treiben uns an, mehr zu arbeiten, besser zu sein oder erledigen noch dies und das, ohne auf die Bedürfnisse unseres Körpers zu hören.
Wenn sie aufmerksam sind, werden Sie derartiges Geplapper im Kopf rasch bemerken - was jedoch im Eifer des Gefechtes oft gar nicht so leicht ist. Begrüssen Sie sie! Vielleicht gelingt dies gar mit einem inneren Lächeln: „Aha, da seid Ihr, ich habe Euch erwartet! Lasst mal gut sein.“ So in etwa können Sie zu sich sprechen. So entwickeln Sie sogar noch eine Menge Mitgefühl für den inneren Kritiker. Denken Sie dann daran, was Sie tun würden, hätten Sie sich in den Finger geschnitten. Oder stellen Sie sich vor, wie Sie reagieren würden, wenn Ihnen ein kleines Kind seinen Kummer mit seinem besten Freund erzählen würde. Schenken Sie sich dann die gleiche freundliche Aufmerksamkeit?
„So ein Augenblick, in dem Sie mitfühlend und liebevoll mit sich selbst umgehen, kann Ihren ganzen Tag verändern und viele solcher Momente können Ihrem Leben eine ganz neue Richtung geben“, schreibt Christopher Germer, der Selbstliebe erforscht. (siehe Buchtipp). Die Befreiung aus der Falle der destruktiven Gedanken und Gefühle durch Selbstmitgefühl könne unsere Selbstachtung von innen heraus stärken, Depressionen und Ängste vertreiben und sogar helfen, eine Diät durchzuhalten. Die heilende Kraft von Mitgefühl zu verstehen ist leichter, wenn man an die Momente im Leben denkt, als andere mit Mitgefühl auf einen reagiert haben. Schliesslich sind Mitgefühl und Liebe für uns selbst das Fundament für Liebe und Mitgefühl für andere Menschen.
Übung: Selbstmitgefühl kultivieren
Meist kümmern wir uns um andere. Selten schenken wir uns dieselbe Fürsorge und Aufmerksamkeit. Das versuchen wir jetzt. Sie können dabei nichts falsch machen. Seien Sie einfach neugierig, was auftaucht.
Suchen Sie einen Ort, an dem Sie ungestört sind.
Wie würden Sie versuchen, eine Freundin zu trösten, die sich Ihnen anvertraut, dass Sie sich wertlos fühlt oder schämt? Was würden Sie ihr sagen?
Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, und denken Sie darüber nach. Schreiben Sie dann auf, was Sie Ihrer Freundin in dem Fall sagen würden.
Überlegen Sie jetzt, wie auch Sie sich schon einmal traurig oder wertlos gefühlt haben oder unglücklich waren und richten Sie die Worte des Mitgefühls an sich selbst, die sie in etwa auch zu einer Freundin/einem Freund sagen würden.
Nehmen Sie wahr, was in Ihrem Denken und in Ihrem Körper passiert, wenn Sie sich selbst diese liebende Güte und das Mitgefühl schenken.
Legen Sie allenfalls die Hand auf Ihre Brust.
Atmen Sie einige Minuten, und danken Sie sich dafür, dass Sie sich dieses Geschenk gemacht haben.
Buchtipp:
Christopher Germer. Der achtsame Weg zur Selbstliebe. Wie man sich von destruktiven Gedanken und Gefühlen befreit. Arbor Verlag