Sind Sie selbst-bewusst?
Selbstbewusstsein, Ausstrahlung, Charisma - alle möchten über diese Eigenschaften verfügen - nur wenige tun es wirklich. Unzählige täuschen sie vor, und die meisten lassen sich von entsprechender Arroganz und Grossspurigkeit einschüchtern. Haben Sie sich auch schon vor so einem Schaumschläger däumlingklein gefühlt, hinterher stundenlang darüber phantasiert, was Sie einer Wichtigtuerin hätten antworten sollen?
Dabei sind Sie womöglich tief im Innern selbst-bewusster als diese Angeber, sich Ihrer selbst bewusst - Ihrer Stärken, aber auch Ihrer Schwächen. Einzelne Teilnehmer meiner Selbstsicherheitstrainings-Kurse sind immer wieder erstaunt, dass andere dieselbe Krux mit ihrer Selbstsicherheit haben - selbst Menschen, welche durch ihren Erfolg, ihre Bildung oder ihre offensichtliche Attraktivität beeindrucken.
Selbstsicherheit kann also nicht allein durch äusseren Erfolg und Wissen erreicht werden. Sicherheit entsteht durch Vertrauen, Selbst-Vertrauen. Wem schenke ich Vertrauen? Einem guten Freund - einer guten Freundin, die ich schon lange kenne. Die Basis für Selbstsicherheit heisst: Erkenne dich selbst, schau dich schonungslos und ehrlich an, aber nicht herabsetzend, nörglerisch, kritisierend, so wie wir es meistens tun, sondern wohlwollend, aufmunternd, verständnisvoll auch für einige Schwächen, so wie wir uns guten Freunden gegenüber verhalten. Warum können wir uns selbst nicht die beste Freundin sein? Warum hacken wir ständig auf uns herum? Wer zwingt uns, Erziehungsmuster, welche in erster Linie mit Tadel und kaum mit Lob operierten, uns und unsern Kindern gegenüber zu wiederholen?
Selbstbewusstsein heisst: Ich bin mir meiner selbst bewusst. Ich erkenne meine Vorzüge und Fähigkeiten sowie meine Grenzen und akzeptiere, dass gewisse Stärken fast unausweichlich mit gewissen Schwächen gekoppelt sind. Ein kreativer Mensch beispielsweise ist oft etwas chaotisch. Was soll er sich ein Leben lang selber für eine verzeihliche Schwäche gedanklich auf die Finger hauen? Wenn ich weniger wertend mit mir selber umgehe, kann ich dies auch bei anderen und finde zu mehr Toleranz.
Von Freunden erwarte ich, dass sie ehrlich, zuverlässig, loyal zu mir sind, mich mit Achtung und Toleranz behandeln, dass sie integer sind und zu mir stehen. Erst dann vertraue ich ihnen. Begegne ich mir selbst auch so, stehe ich zu mir, bin ich mir selber treu? Ohne Selbstachtung und Treue zu mir selbst ist also kein Selbstbewusstsein möglich. Wenn ich nicht zu mir stehe, verlasse und verliere ich mich. Ich verrate meinen inneren Kern.
Wie kann ich Selbstachtung empfinden, wenn ich meine Ansichten und Haltungen je nach Umfeld und Trend wechsle? Heisst dies, ich soll stur an einmal vorgefassten Meinungen festhalten? Nein, es heisst, dass ich die mühsame Arbeit auf mich nehmen muss, mir mein eigenes ethisches Fundament zu bauen, meine eigenen, fiür mich verbindlichen Werte zu suchen, zu entdecken und zu verteidigen. Dann werde ich auch bei mir — wie bei einer guten Freundin, einem guten Freund — kleine Schwächen augenzwinkernd tolerieren, bei grossen aber aufgrund meiner ethischen Bewusstheit akzeptieren, dass ich auf dem Weg bin, und mich ohne Selbstherabsetzung und Selbst-Tyrannei entsprechend bemühen.
Nur wenn ich meine eigenen ethischen Massstäbe und Richtlinien erarbeitet habe, kann ich mir und anderen wirksam Grenzen setzen, für meine Anliegen einstehen, berechtigte Forderungen stellen und durchsetzen. Erst dann bin ich wirklich glaubwürdig und verantwortungsbewusst. Ich übernehme Verantwortung für die Einhaltung meiner Werte im Umgang mit anderen, der Natur, aber auch mir selbst gegenüber. Ich kann mich dann nicht mehr hinter Floskeln wie „man sollte" oder „man tut das nicht" verstecken. Meine Selbstachtung gebietet mir, mich zu wehren, wenn mir oder anderen Unrecht geschieht. Bewusst, selbstbewusst leben bedeutet auch Achtsamkeit gegenüber der Natur, meinen eigenen und fremden Gefühlen. Achtsam sein heisst aufmerksam, respektvoll, sanft und wach sein, voll bewusst, in jedem Augenblick des Lebens. Meditation kann diese Achtsamkeit, dieses Leben im Hier und Jetzt fördern.
Der Weg zu echtem Selbstbewusstsein ist lang, steinig, nie zu Ende. Er lässt vieles schmerzlicher erspüren. Vieles wird anders wahrgenommen, komplexer, aber oft auch einfacher. Man erregt Neid, gewinnt aber innere Zufriedenheit, Würde und Gelassenheit. Selbstakzeptanz führt zur Selbstachtung - etwas vom Wesentlichsten im Leben. Vielleicht verliert man durch sein Anecken so genannte „Freunde", aber man gewinnt einen neuen, der einen nie verlässt - sich selbst.