Atmung ist nicht nur lebensnotwendig, sondern auch eng mit unserem Nervensystem, dem Stresslevel und sogar mit frühen Bindungserfahrungen verknüpft. Oft spiegeln sich unverarbeitete Emotionen oder traumatische Erlebnisse in unserem Atemmuster wider. So kann eine flache, angespannte oder stockende Atmung auf innere Blockaden hinweisen. Doch genau hier liegt auch eine Chance: Durch gezielte Atemübungen lassen sich innere Anspannungen lösen, das Nervensystem sowie Emotionen regulieren und tiefsitzende Blockaden, etwa durch Entwicklungsoder Bindungstraumata, verarbeiten. Die bewusste Steuerung des Atems kann helfen, emotionale Prozesse in Gang zu setzen und einen heilsamen Zugang zu verborgenen Themen zu schaffen.
Atemmuster auflösen
Unsere Atmung steht in direktem Zusammenhang mit dem autonomen Nervensystem. Eine schnelle und angespannte Atmung z. B. aktiviert das sympathische Nervensystem (Stressmodus); eine verlangsamte und ruhige Atmung ermöglicht den Wechsel in das parasympathische Nervensystem, das für Ruhe, Verdauung und Regeneration zuständig ist. Diese Regulation hat auch einen direkten Einfluss auf unsere Emotionen: Eine bewusste, ausatem-betonte Atmung kann Ängste lindern, Stress abbauen und das Gefühl innerer Sicherheit stärken. Schon in der frühen Kindheit entwickelt sich unser Atemmuster in Wechselwirkung mit unserer Umgebung. Sichere Bindungserfahrungen führen oft zu einer entspannten, freien Atmung, während frühe Stress- oder Trauma-Erfahrungen zu einer unbewusst flachen oder angespannten Atmung führen können. Kinder, die häufig Stress oder emotionale Unsicherheit erlebt haben, behalten diese Muster oft bis ins Erwachsenenalter bei. Das hat Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die emotionale Regulation.
Die gute Nachricht: Das Atemmuster ist veränderbar. Durch gezieltes Atemtraining kann der Körper lernen, alte Schutzmechanismen loszulassen und wieder in einen natürlichen, entspannten Rhythmus zu finden.
Atemübungen zur Stressreduktion
Es gibt zahlreiche Techniken, um den Atem bewusst für emotionale Prozesse zu nutzen, z. B.:
• Bauchatmung: Die tiefe Atmung in den Bauch und das verlangsamte Ausatmen aktivieren den Parasympathikus, entspannen das Nervensystem und helfen, Stress abzubauen.
• Gähnatmung: Mund weit öffnen, tief einatmen und langsam Lunge füllen; kurz halten, 2 – 3 Sekunden warten; langsam und entspannt ausatmen. Dies ist eine bewährte Methode bei Stress und Müdigkeit, die die Sauerstoffaufnahme und die Beruhigung fördert.
• Summen oder Tönen beim Ausatmen: Dies stimuliert den Vagusnerv, der eine zentrale Rolle in der Entspannung spielt.
• Achtsames Atmen: Das bedeutet, den Atem bewusst wahrzunehmen, ohne ihn zu verändern. Man spürt, wie die Luft ein- und ausströmt und bleibt mit der Aufmerksamkeit ganz im Moment. Gedanken, die auftauchen, werden bemerkt, aber nicht festgehalten – der Fokus kehrt immer wieder sanft zum Atem zurück. Es ist eine einfache Übung, um Ruhe, Klarheit und Präsenz zu fördern.
Besser atmen, besser leben Um die Kraft der Atmung langfristig zu nutzen, lohnt es sich, regelmässig kleine Atempausen in den Alltag einzubauen. Zum Beispiel morgens und abends fünf Minuten bewusst tief atmen. Oder in stressigen Momenten innehalten und drei tiefe Atemzüge nehmen. Wer beginnt, sich mit dem eigenen Atem auseinanderzusetzen, entdeckt nicht nur einen Zugang zu tieferen Schichten des eigenen Erlebens, sondern auch eine Möglichkeit, aktiv zu mehr Wohlbefinden beizutragen.
Leserfrage
"Liebe Frau Lenz Können Menschen mit Bindungstrauma von Atemtherapie profitieren?" (Anton Freund, 61 Jahre)
Lieber Herr Freund Ja, Menschen mit Bindungstrauma können von der Atemtherapie sehr profitieren, sofern die Herangehensweise achtsam und traumasensibel ist. Die Arbeit mit dem Atem führt zur Verankerung im Hier und Jetzt und verbessert die Körperwahrnehmung. Ausserdem lernen Betroffene, über die Atmung Einfluss auf ihr vegetatives Nervensystem zu nehmen – und damit auf ihre Emotionen und ihr allgemeines Befinden. Das stärkt die Selbstwirksamkeit und das Gefühl von innerer Sicherheit erheblich.
Herzlichst, Ihre Susanne Lenz
Sanasearch in Zusammenarbeit mit Susanne Lenz.
Dieser Artikel erschient ausserdem in der Oliv Zeitschrift 05/2025: zum Artikel