Keine Angst vor der Angst

Angst begleitet uns von der Geburt bis zum Tod. Sie ist nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein wichtiges Alarmsystem, das vor Gefahren warnt und vor unvorsichtigen Handlungen schützt. Im Bestfall macht sie den Menschen aufmerksam und fokussiert. Allerdings kann die Angst für manche Menschen zu einem Problem oder sogar zu einer Erkrankung werden. Wie können wir lernen, die Angst als natürlich und beschützend zu empfinden und weniger Angst vor der Angst zu haben?

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Keine Angst vor der Angst

Die Angst und sein schlechter Ruf

Auf der Welt grassieren viele Ängste: allein 650 wissenschaftlich anerkannte Phobien sind aus der Psychologie bekannt. Die Angst bestimmt unsere Gedanken und unser Verhalten in einem Ausmass wie kaum eine andere Emotion. Sie ist etwas sehr Körperliches und äussert sich oft mit Herzklopfen, Zittern, flacher Atmung oder Schweissausbrüchen. In unserer modernen, leistungsorientierten Gesellschaft, in der es nicht mehr so viele konkrete, lebensbedrohliche Gefahren gibt, empfinden wir Angst oft als unpassend und störend. Wer Angst hat gilt als schwach. Kein Wunder, dass gerade die Angst so einen schlechten Ruf in der Welt der Gefühle hat. Viele Menschen lernen schon früh, die Angst zu verdrängen. Dabei ist es wichtig die Ängste zu reflektieren: Wovor genau fürchte ich mich? Was genau könnte im schlimmsten Fall passieren? Viele Ängste reagieren auf Reize wie Bilder, Töne, Gerüche oder Bewegungen. Je besser wir unsere Ressourcen kennen, desto einfacher können wir sie in schwierigen Situationen aktivieren und die Angst eindämmen.

Von der Fantasie angetrieben

Alle Menschen haben irgendwelche Ängste, Sorgen und Befürchtungen. Doch es ist fast nie eine tatsächlich bereits eingetroffene Situation, die für Angstzustände sorgt. Es ist die Fantasie, also die plastische Vorstellung einer schrecklichen Situation. Die Angst geht oft Hand in Hand mit ihrer «Komplizin» der Fantasie. Wir stellen uns vor, was Schlimmes passieren könnte und die Angst reagiert darauf, als wäre es real. Die Flucht-, Kampf- und Erstarrungsreflexe werden aktiviert. Diese heftigen körperlichen Reaktionen erschrecken und lähmen uns und wir glauben, dass wir nichts mehr tun können um die (eingebildete) gefährliche Situation zu beeinflussen und uns wieder sicher zu fühlen. Bei Menschen mit einer Angststörung entwickelt die Angst ein Eigenleben – die innere Welt kann mit der äusseren Welt nicht mehr in Einklang gebracht werden. Durch Vermeidung der vermeintlichen Gefahren, wird die Angst bestätigt und verstärkt. Wer erfahren kann, dass die Auslöser meist nicht einer realen Gefahr entsprechen, erlebt auch die Reaktionen der Angst an sich als weniger bedrohlich. Diese und viele weitere Erkenntnisse aus der Psychologie können Menschen helfen, ihre Angst besser zu verstehen und damit umzugehen.

Körperwahrnehmung schärft die Sinne

Leider reagiert die Angst nicht auf rationale Argumente. Es hilft nicht zu sagen «du brauchst keine Angst zu haben». Die Angst kann damit nichts anfangen. Was wirklich hilft, ist etwas zu tun, das uns das Gefühl gibt, in einer Beziehung mit der Umgebung handlungsfähig zu sein. Verschiedene Atem- und Körperübungen helfen einen besseren Umgang mit der Angst zu schulen. Durch die Körpertherapie und Körperwahrnehmungstechniken lernen wir unseren Körper und seine Reaktionen auf Impulse aus der Umgebung besser kennen. Wir können lernen, die angenehmen genauso wie die unangenehmen Gefühle besser zu verstehen. Durch die tiefe Entspannung wird auch die körperliche Empfindung von Sicherheit und Verbundenheit gestärkt. Wir finden in uns Ressourcen, die uns helfen, auch schwierige Empfindungen zuzulassen und durchzustehen. Wir alle suchen nach Sicherheit, Kontrolle und so wenig Risiko wie möglich. Doch das Leben an sich ist nicht kontrollierbar. Es ist gefährlich und ein einziges Risiko. Wenn wir dies akzeptieren und uns auf das fokussieren, was wir tatsächlich beeinflussen und gestalten können, haben wir weniger Angst vor der Angst und mehr Freude im Leben.


Leserfrage

Wo immer es geht, versuche ich mich vor Vorträgen zu drücken. Ich wäre gerne mutiger und offener dafür. Was könnte mir helfen? Polina Lübke, (21 Jahre)

 

Liebe Frau Lübke

Oft haben wir Lampenfieber vor neuen Herausforderungen. Das ist normal und sogar hilfreich, weil es uns wach und aufmerksam macht. Versuchen Sie nicht, dagegen anzukämpfen, atmen Sie ein paar mal tief durch und vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie etwas Wichtiges zu sagen haben und ihr Wissen teilen möchten. Dann machen Sie den ersten Schritt und lassen sich einfach in die Aufgabe hineinfallen und Sie werden merken, dass Sie Zugang zu neuen Ressourcen finden, die Ihnen neue, bereichernde und beglückende Erfahrungen ermöglichen. Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Motivation, etwas zu tun, obwohl wir Angst davor haben.

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